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Informationen Deutsch als Fremdsprache · 16. Jahrgang · Heft 2 · April 1989InhaltBeiträge
Landeskunde wird beschrieben als ein pluridisziplinäres, aber eigenständiges Fach, das der Komplexität einer bestimmten, zeitlich und räumlich begrenzten (hier:
bundesdeutschen) Wirklichkeit gerecht zu werden versucht. Entworfen wird eine neue Konzeption, mit der die bundesdeutsche Mentalität denjenigen nähergebracht werden soll,
die eben dieser Wirklichkeit teilweise oder gänzlich fremd gegenüberstehen. Die Bereiche, die durch Querverbindungen miteinander verknüpfbar sind, werden in
tabellarischer Übersicht vorgestellt. Ein Bereich wird paradigmatisch näher erläutert; die Didaktisierung eines Teilaspektes innerhalb dieses Bereiches schließt den
Beitrag ab.
Die Erarbeitung und Vermittlung eines "Landesbildes DDR" ist sowohl der Inhalt des Lehrgebietes als auch der Ansatzpunkt weitergehender theoretischer Bemühungen. Unter
"Landesbild" wird die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit und der Lebensprozeß der Menschen in einem als Staat organisierten Territorium verstanden. Eine tendenziell
wachsende Hinwendung zu historischen, kulturellen und kulturvergleichenden Fragen hat gegenwärtig eine stärkere Einbeziehung des Verhältnisses von nationalen und
internationalen Prozessen zur Folge und wird als Indiz für einen Umbruch in der Landeskunde gewertet. Die sich aus der globalen Situation ergebende Priorität der
Menschheitsinteressen vor allen Teilinteressen von Klassen, Staaten und Nationen erheischt, ihre friedens- und verständnisfördernden, völkerverbindenden und
humanisierenden Potenzen noch wirksamer zur Geltung zu bringen.
Aus der Erkenntnis heraus, daß Landeskunde - auch historische Landeskunde - eine Voraussetzung für das Verständnis von Texten und der fremden Sprache überhaupt ist,
bietet der Autor einen Kurs zur (Kultur-) Geschichte an. Mit dem Ziel, einen knappen Orientierungsrahmen zu vermitteln, werden die zehn Lektionen zunächst von den
Studenten mithilfe des Lehrbuches von Zettl vorbereitet, dann vom Lehrer in Form eines Ton-Dia-Vortrages präsentiert und schließlich von den Studenten auf Arbeitsblättern
nachbereitet. Eine noch im Entstehen begriffene Anthologie soll alle drei Phasen begleiten. Als Beispiel für den Vortrag wird die Lektion Barock vorgestellt. Umrahmt wird
diese Beispiel-Lektion von Beobachtungen und Überlegungen zum Lerneffekt des Kurses.
Die in der Bundesrepublik und in Frankreich so verschiedenen Reaktionen auf Tschernobyl in politisch vergleichbaren Systemen weisen auf spezifische Bewußtseinslagen hin.
Meine Überlegungen wollen zur systematischen Behandlung bewußtseinsmäßiger Entwicklungen im Landeskunde-Unterricht ermutigen. Ungeachtet der kontrastiven, d.h.
deutsch-französischen Anlage sollen Spekulationen über die deutsche Mentalität vermieden werden, indem Verfahren der politischen Kulturforschung mit der philologischen
Perspektive verknüpft werden. Möglichst repräsentative Texte sollen Orientierungsformen von Individuen und Bevölkerungsgruppen symbolisieren, die als kulturelle Strömung
sich im Abschwung oder in der Offensive befinden. Die so entstehenden Teilkulturen werden durch unterschiedliche Werteprofile unterschieden. Demnach kann die Entwicklung
der Bundesrepublik mit der Offensive der Selbstentfaltungswerte seit den sechziger Jahren, der Tendenzwende 1973/74 und der der neuen Unübersichtlichkeit der achtziger
Jahre beschrieben werden. Im Vergleich zu Frankreich sticht die widersprüchliche Tendenzwende hervor, die sowohl neokonservativ als auch wachstumskritisch ist. Diese
Widersprüchlichkeit ermöglicht einmal die machtpolitische Umsetzung der neuen Strömungen (Bonner Wende, Parlamentarisierung der Grünen), zum anderen die Verquickung von
konservativen mit Selbstentfaltungswerten. Im neuen Kommunikationsverhalten wird deutlich, daß etwa grüne Ekelreaktionen ökologische Bewahrung und expressive
Selbstentfaltung synthetisieren, daß aber auch Konservative sich Betroffenheitsgesten aneignen. Für den Unterricht bedeutet dies, daß für nicht-deutsche Studenten über
Dokumente der Selbstäußerung die Verschlingung von modern-individualistischen mit konservativen Motiven in den Blick kommen sollte.
Das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Projekt erarbeitet ein interdisziplinäres und kontrastives Landeskundekonzept, das sich mit abgestuften Materialien an
amerikanische Adressaten aus dem Fort- und Weiterbildungsbereich wendet. Zum einen entsteht ein Deutschlandkundeband, der auf den Diskussionen eines interdisziplinären
Gesprächskreises beruht. Behandelte Themen: Deutsch-amerikanische Beziehungen und Wahrnehmungsmuster, deutsche Raum- und Zeiterfahrung, das Verhältnis von privat und
öffentlich, Lebensstile, Grundlinien deutscher Geschichte, politische Kultur und Gruppenkulturen. Die zweite, anwendungsorientierte Hälfte des Projekts widmet sich der
Umsetzung der interdisziplinären Vorlagen in exemplarische Unterrichtseinheiten und Lehrmaterialien. Leitender Gesichtspunkt dieses Materialienbandes für Fortgeschrittene
ist die Integration von sprachlichem und (inter)kulturellem Lernen.
Der landeskundliche Unterricht im Fach Deutsch als Fremdsprache bedarf mehr denn je einer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung. Der Autor postuliert einen erweiterten,
dynamischen und interkulturellen Kulturbegriff, von dem ausgehend eine interkulturelle Kommunikationsfähigkeit des Deutschlerners erzielt werden soll.
Interdisziplinarität und Kulturthemenorientierung des Landeskundeunterrichts werden als Mittel für die Erlangung des formulierten Ziels vorgestellt. In einem zweiten
Bereich geht es um landeskundliche Beispiele aus der Praxis ausländischer und inländischer Hochschulen, die teilweise die theoretischen Postulate erfüllen. Schließlich
wird in einem dritten Bereich ein auf der Basis Interkultureller Germanistik entwickeltes Curriculum für das Teilgebiet Landeskunde im Rahmen einer Ausbildung Deutsch als
Fremdsprache zur Diskussion gestellt.
Ausgehend von den Bedingungen des Faches Deutsch als Fremdsprache in der Diplom-Übersetzer-Ausbildung und der besonderen Rolle der Landeskunde in diesem Studiengang wird
ein Konzept von Landeskunde vorgestellt, das den begrenzten sozialwissenschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten von Studierenden der Sprachwissenschaft gerecht werden soll. Aus
dem Lebenswelt-Konzept von Jürgen Habermas wird ein Begriff kultureller Identität - als hypothetische Setzung der Gesellschaftsmitglieder - entwickelt, der als Grundlage
soll dienen können für die kulturwissenschaftliche Textinterpretation, welche solche Setzungen als textinhärente begreifen und beschreiben möchte. Nach der Darstellung
eines Textmodells, das die soziokulturelle Textkonstitution für die Analyse thematisierbar machen soll, wird an vier - literarischen und nichtliterarischen - Texten zum
17. Juni 1953 das Interpretationskonzept getestet.
Nach wie vor bleibt es der Selektion der Lehrbuchautoren überlassen, welches Image der Bundesrepublik sie über die "Landeskunde" vermitteln wollen. Dabei zeigen die
sozialwissenschaftlichen Themenbereiche weiterhin Unsicherheiten bzw. Defizite im Hinblick auf Erkenntnisinteresse, Selektion und Information. Für die Konsolidierung und
Anerkennung der "Landeskunde" als eigene Disziplin wäre deshalb ein stimmiges Konzept und eine wissenschafts- und gesellschaftstheoretische Grundlegung dringend geboten.
Das Projekt Deutscher Widerstand in Griechenland und friedenserzieherisch orientierte Prozesse der Sprachvermittlung sind Beispiele einer sich politisch verstehenden
Fremdsprachendidaktik im Unterricht mit angehenden Fremdsprachenlehrern, die nicht übertragen, sondern der jeweiligen Situation und Stellung einer "fremden" Sprache
gerecht werden wollen.
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